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"Jetzt schnell ein paar Sachen einkaufen", dachte Paul Techlitz sich, als er losfuhr. Im Supermarkt angekommen, füllte sich der Einkaufswagen schneller, als er zuerst gedacht hatte, es war eine ganze Menge, was er gebrauchen konnte. Wann hatte er schon Zeit für einen Einkauf, das letzte Mal musste bestimmt zwei Wochen her sein. Dementsprechend erschöpft waren seine Vorräte. Das meiste landete zwar im Mülleimer, weil es schlecht geworden war, aber egal. Das lag an den vielen Geschäftsessen in letzter Zeit. Momentan lief alles wunderbar, hervorragend, um genau zu sein. Bald würde er der Neue sein. Damit war der Posten des Direktors gemeint. Der Alte ging in Rente und sein Bemühen wurde endlich anerkannt und belohnt. Es war gar nicht einfach gewesen seine Nebenbuhler auszustechen, von denen es wirklich reichlich gab. Jeder war scharf auf den Job. Doch seine Ellenbogen waren stärker und spitzer als die seiner Mitstreiter. Der Großteil war zu weich für Paul und für sein Auftreten kein Hindernis. Nach kürzester Zeit hatte er sich einen Namen gemacht, der nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wurde. Man nannte Paul "Das Arschloch".
Das wusste er und gerade das gab ihm noch mehr Schubkraft. Seine Karriere bedeutete Paul Techlitz alles. Dafür war er sich auch nicht zu fein, dem Alten Zucker in den Arsch zu blasen.
Freunde hatte er im Grunde nicht. Das oberflächliche Geschwafel mit Geschäftspartnern und Kunden konnte man nicht als innige Freundschaft bezeichnen. Das war ihm völlig schnurz. Freunde brauchte nur derjenige, der nicht arbeitete und irgendwelchen Freizeitbeschäftigungen frönte. Also nur faules und unproduktives Pack. Dass Paul keine Hobbys hatte, braucht man nicht sonderlich zu erwähnen. Doch eines hatte er. Seinen Job. Paul Techlitz beschäftigte sich mit seiner Arbeit, ob Tag oder Nacht, ob Wochenende oder Feiertag. Für Paul Techlitz gab es nichts anderes. Für ihn war Geld das Einzige, was zählte, wovon er nie genug bekommen konnte.
Es gab noch etwas, das war Einfluss. Dieser Einfluss sollte kommen, wenn er den Posten des Direktors der Privatbank Niemeyer & Partner erlangt hatte. Sein Lebensweg war immer schnurgerade verlaufen. Alles, was er sich vornahm, erreichte er. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Nach dem Abitur begann seine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank. Bei der Anstellung hatte sein Onkel Herbert ein wenig nachgeholfen, damit es reibungsloser ablief. Sein Onkel Herbert war von Beruf Politiker, keine wirklich große Nummer. Er war ein einfacher, kleiner Abgeordneter im Landtag gewesen. Dafür hatte Onkel Herbert sich schnell in seinem Wahlkreis einen Namen gemacht. Er kannte so ziemlich jeden aus der lokalen Wirtschaft persönlich, was sich häufig als äußerst nützlich erwiesen hatte. Paul musste auf Anraten seines Onkels sein Wissen in Wirtschaft und Sprachen erweitern und schon war sein Weg nach oben frei. Die Anstellung bei Niemeyer & Partner war das letzte Geschenk seines Onkels. Letztes Geschenk daher, weil Onkel Herbert, kurz nachdem er sich einigermaßen in seiner neuen Arbeitsumgebung eingelebt hatte, starb.
Paul war als ein unnahbarer Mensch bekannt, der kaum Gefühle zeigte, immer kühl und sachlich, wie das Geschäft es vorschreibt. Bei der Beerdigung seines Onkels weinte Paul das erste Mal in seinem Leben. Er war sein Vorbild und seine Leitfigur gewesen, der er seit seiner frühsten Jugend nacheiferte. Es dauerte eine geraume Zeit, bis er den Verlust verkraftet hatte. ein Onkel Herbert hatte jedoch vorgesorgt.
Nicht nur, dass Paul eine stattliche Geldsumme erbte, sondern der Name seines Verwandten sorgte auch dafür, dass die kommenden Jahre für Paul wesentlich unbeschwerter verliefen. Der Name seines Onkels öffnete ihm Türen, für die er sonst Jahre benötigt hätte.
Seine Persönlichkeit und sein Verwandter sorgten für einen steilen Aufstieg, was sich schnell auf seinem Bankkonto bemerkbar machte. Jetzt mit 35 Jahren besaß er fast alles, was man für ein gutes Luxusleben brauchte, die Direktorstelle war das i-Tüpfelchen. Er kannte keine Grenzen, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Es verlief immer alles viel zu leicht für Paul.
Verheiratet war er nicht, noch nicht. Es lag keinesfalls daran, dass er keine geeignete Frau finden konnte. Nein, er hatte keine Lust auf eine feste Bindung. Er hasste es zu teilen. Es gab jede Menge Frauen, die um seine Gunst buhlten. An jedem Finger hatte er zehn davon. Das waren alles nur Nattern, die auf seine Kosten ein schönes Leben führen wollten, was er nicht einsah. Schließlich hatte er für seinen Wohlstand hart gearbeitet und ihn sich redlich verdient. Paul musste aber heiraten, so schön ein Junggesellenleben auch war. Ein Bankdirektor, der nicht verheiratet war, praktisch unmöglich.
Es war mit der Position einfach unvereinbar und hätte an seiner Glaubwürdigkeit gekratzt. Da Paul nicht auf dem Kopf gefallen war, hatte er schon seit einiger Zeit mit der Tochter des jetzigen Direktors angebandelt. Die Zustimmung der Familie hatte er, auch auf den Neid und die Missgunst der Außenstehenden musste Paul nicht lange warten. Wie schon gesagt, es lief alles nach Plan. Sein Aufstieg war nicht mehr aufzuhalten. Am Tag zuvor hatte er eines von den vielen Geschäftsessen gehabt, die sich seit einiger Zeit häuften. Das besagte Essen fand im Hause des Direktors statt. Ein Mahl im bescheidenen Kreise mit seinen zukünftigen Schwiegereltern, sowie dem Bürgermeister und zwei namhaften Unternehmern, die den Löwenanteil der Arbeitsplätze in der Stadt stellten.
Dieses Abendessen sollte zu einem gewichtigen Wendepunkt in seinem bisherigen Leben werden.
"Komm rein, mein Junge", begrüßte ihn der Nochdirektor.
Beide hatten ein sehr lockeres Verhältnis aufgebaut, seit klar war, dass die Beziehung mit seiner Tochter ernst war.
"Hallo Schwiegervater", wandte Paul sich an den zukünftigen Angehörigen. "Nicht so förmlich, du sollst mich doch mit Karl anreden", forderte der ihn auf. "Gut, Karl. Schön dich zu sehen", gab Paul sich geschlagen.
Beide traten ein und Paul begrüßte auch seine zukünftige Schwiegermutter mit einer Umarmung, wie er es vorher bei Karl getan hatte.
"Setz dich schon ins Esszimmer, da warten einige Herren auf dich", sagte die Dame des Hauses mit fester Stimme und wies ihn mit einer Kopfbewegung in die vorgesehene Richtung. Zwischen den Herren saß auch das mittlerweile äußerst vertraute Gesicht seiner Verlobten, die ihn freudig begrüßte und ihm einen dicken Kuss auf die rechte Wange aufdrückte. "Hallo Schatz, schön dich endlich wiederzusehen. Ich habe dich schrecklich vermisst." Paul umarmte und küsste seine Verlobte etwas zaghafter, weil der hohe Besuch ihn ein wenig verunsicherte.
"Keine falsche Scham, wir waren alle mal frisch verliebt. Es ist zwar schon einige Zeit her, doch erinnern kann ich mich noch."
Der Bürgermeister erkannte seine Unsicherheit sofort. Die beiden anderen Gäste, die für Paul keine Unbekannten waren, nickten nur zustimmend. Gleich darauf traten die beiden Gastgeber mit dem Essen ein und servierten. Es sollte eine vertraute Atmosphäre werden, die jedoch in Paul nicht so zügig aufkeimte wie bei den anderen. Er konnte sich schon denken, worauf der Großteil des Tischgespräches hinauslaufen würde, aber was wollten die drei hier?
Die bestimmenden Blicke der Geschäftsleute verunsicherte ihn nur noch mehr, und über die Anwesenheit wurde Paul erst recht nicht aufgeklärt. Hier sollte wesentlich mehr beratschlagt werden als nur der Direktorposten. Anfangs wurde nicht viel gesprochen, es kamen belanglose Themen vor. Meist still genossen sie ihr Essen. Mit der Zeit wurde es offensichtlicher, dass dies der Vorlauf für das große Gespräch war. Das Essen mitsamt Nachtisch wurde beendet und von den Damen abgeräumt. Als dann später seine Verlobte auf ihm zukam, wurde die Verwirrung perfekt.
"So, wir Frauen entfernen uns dann, die Herren haben ja noch einiges zu besprechen."
Sie drückte Paul noch einen Kuss auf und verschwand mit ihrer Mutter in einem der Nebenräume. Als beide außer Sicht- und Hörweite waren, ergriff der Direktor das Wort: "Meine Herren, wir gehen ins Arbeitszimmer."
Keiner widersprach und alle erhoben sich, um dem Direktor zu folgen. Paul blieb länger als die anderen sitzen und erhob sich erst, als sein Schwiegervater ihn mit einer energischen Kopfbewegung aufforderte sich anzuschließen.
Paul ging mit den Herren in das Arbeitszimmer des Hausherren.
Es war in einem alten Stil eingerichtet, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeordnet werden konnte. Die eine Hälfte war ein Arbeitszimmer und die andere Hälfte eine Bibliothek. Um einen alten, runden, dunkelbraunen Eichentisch standen fünf schwere Ledersessel für sie bereit, in denen sie nacheinander Platz nahmen. Der Gastgeber reichte jedem eine dicke Havanna Zigarre, die alle ein paar Züge lang still für sich selbst genossen.
Das eigenartige Gefühl blieb. Das luxuriöse Umfeld war Paul nicht gänzlich fremd. Die bedächtige Stille hatte etwas Beklemmendes an sich.
Der Bürgermeister ergriff als Erster das Wort und sprach Paul direkt an:
"Paul, dieses Treffen gilt dir und damit ist nicht nur deine baldige Beförderung zum Direktor von Niemeyer & Partner gemeint", sagte er selbstsicher.
"Ist es nicht?"
"Nein, dem ist nicht so", sagte sein Schwiegervater plötzlich.
"Ich hoffe es stört die Herren nicht, wenn der Bürgermeister und ich die Verhandlung führen?"
Die beiden anderen Anwesenden schüttelten verneinend mit dem Kopf und pafften genüsslich ihre Zigarren weiter. Sein zukünftiger Schwiegervater schaute Paul ernst an und stellte ihm eine Frage, die er als völlig absurd empfand: "Mein Junge, möchtest du wirklich den Posten des Bankdirektors bei Niemeyer & Partner antreten?" "Natürlich, daran besteht nicht der geringste Zweifel. Diese Stellung ist mein Leben und mein Traum, dafür würde ich alles tun." Paul antwortete mit äußerst fester Stimme, die aufgrund der Erkundigung ein wenig beleidigt klang. Die Anwesenden sahen sich an und nickten zustimmend, gleich so als hätten sie keine andere Antwort von ihm erwartet. Nun ergriff der Bürgermeister wieder das Wort: "Wie du mit Sicherheit bemerkt hast, betrifft dies mehr als nur die Beförderung und deiner letzten Antwort konnte ich entnehmen, dass du bereit bist."
"Kommt darauf an, um was es sich handelt", antwortete Paul vorsichtig.
"Du bist dir also deiner Sache nicht hundertprozentig sicher. Wenn du einwilligst, gibt es kein Zurück mehr für dich. Die Informationen, die du erhalten wirst, sind nicht für Außenstehende gedacht.", teilte ihm sein Schwiegervater mit strenger Stimme mit.
"Ich schwöre, ich bin bereit dazu. Ich will es, und zwar hundertprozentig", sagte Paul fest entschlossen.
Er wollte einfach wissen, worum es ging. So schlimm konnte es nicht sein. Er vermutete, dass dieses Schauspiel dazu diente, um zu prüfen, ob er den Job mit ganzem Herzen ausführen würde und volle Einsatzbereitschaft an den Tag legen würde.
"Ich denke, wir können ihm vertrauen.", sagte sein Schwiegervater und blickte in die kleine Runde, in der alle zustimmend nickten. "In wenigen Tagen wirst du meinen Platz einnehmen und damit in unsere Organisation aufgenommen."
"Was für eine Organisation?", fragte Paul etwas spöttisch. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was gleich auf ihn, zukommen sollte.
"Hier handelt es sich nicht um einen Altherrenverein, der sich in regelmäßigen Abständen im privaten Kreise zum Essen trifft.", gab der Bürgermeister verärgert zurück.
"Beruhige dich Richard, er weiß es doch nicht.", sagte sein Schwiegervater besänftigend. Und führte nun allein das Gespräch mit Paul. "Diese bescheidene Organisation nennt sich B.F.I."
"B.F.I., noch nie gehört", sagte Paul und runzelte dabei seine Stirn.
"So soll es bleiben, B.F.I. bedeutet Bund finanzieller Interessen."
"Aha, und weiter?"
"So hieß sie bei ihrer Gründung im Jahre 1930, heute ist der Name erweitert worden. Wir gehen auch mit der Zeit."
"Und wie heißt sie heute?"
"Bündnis zur Erhaltung finanzieller Interessen in Europa."
"Klingt wichtig, eigenartig, dass ich nie etwas davon gehört habe."
"Wie schon gesagt, das darf auch niemand. Bist du dir sicher, dass du bei uns mitarbeiten willst?"
"Natürlich, klingt spannend und scheint auch die Bedingung für den Direktorposten zu sein, oder?"
Es folgte ein kurzes Nicken von allen. Sein Schwiegervater ergriff wieder das Wort: "Die Gründung erfolgte nach der großen Weltwirtschaftskrise. Im Deutschen Reich wurden auf einen Schlag zu viele Unternehmer bettelarm. Um das nie wieder geschehen zu lassen, wurde unsere Vereinigung gegründet. Wenn du es so nennen möchtest sind wir ein großes Kartell, das die gesamte Wirtschaft beeinflussen kann. Jedoch nur zu unseren Gunsten."
Die Augen von Paul wurden immer größer, er lauschte gespannt den Worten seines Gegenübers.
"Ich will dich nicht zu viel mit Geschichtsdaten langweilen, dafür wirst du noch genug Zeit haben. Nur so viel, der Herr Hitler ist nur durch uns so weit gekommen. Das war leider eine Fehlinvestition, jedoch das Wirtschaftswunder danach geht neben den Amis voll auf unsere Kappe."
"Aber wie, wie
.", stotterte Paul.
"Das wirst du alles erfahren. Wir haben in allen wichtigen Schlüsselpositionen in Europa unsere Leute sitzen. In der Politik, in der Justiz, in den Finanzbehörden, bei der Polizei und selbst bei den Gewerkschaften."
"Aber was ist mit den Rezessionen, die wir hatten, dann scheint euer Einfluss doch nicht so groß zu sein", gab Paul unter bösen Blicken zurück.
"Junge, denk nach, selbst das bewirken wir. Sieh mal, wir räumen Konkurrenten aus dem Weg, um nachher in ihren Sparten einzusteigen. Da wir breit gefächert sind, fällt das niemals auf. Wir spekulieren auf Verluste von Firmen. Sollte einer von uns in die Enge getrieben werden, bleibt er straffrei. Wenn ein Mord nötig sein sollte, würde nie einer die Wahrheit erfahren."
"Dann seid ihr so eine Art deutsche Mafia?", staunte Paul.
"Nein, also bitte. Wir ermorden niemanden, wir treiben Menschen in den Selbstmord. Das ist etwas völlig anderes. Wir wollen nur gute Geschäftsabschlüsse tätigen."
"Verstehe." Das war alles, was Paul hervorbringen konnte. Er wollte keinen Fehler begehen, wer wusste schon, was sie mit ihm anstellen würden.
"Schön, dich bei uns zu haben. Ich denke du wirst eine Bereicherung für unsere Organisation sein.", ergriff der Bürgermeister das Wort.
"Ich werde mir die größte Mühe geben, alles zu Ihrer Zufriedenheit zu erledigen.", erwiderte Paul mit gekünstelt fester Stimme.
"Dann wäre das alles fürs Erste. Die tiefer gehenden Informationen besprechen wir zu einem anderem Zeitpunkt."
Nach diesen Worten überreichte der noch amtierende Direktor Paul ein Kästchen mit einem kleinen Silberring in den ein roter Edelstein eingelassen war.
"Das, mein Sohn, ist so eine Art Mitgliedsausweis, er wird nur bei Treffen getragen. Verstanden? Wir sind sehr vorsichtig."
Paul nickte und nahm das Kästchen an sich. Es folgte ein kleiner Applaus. Jetzt war es amtlich, er gehörte dazu. Ein Zurück gab es nicht mehr.
"Einen kleinen Hinweis noch mit auf den Weg. Wir treffen uns immer nur in Gruppen von maximal fünf Personen, das ist unauffälliger."
Paul nickte sprachlos.
"Die Terminweitergabe erfolgt immer mündlich.", sagte der Bürgermeister mit ernstem Blick zu ihm. "Das verringert die Gefahr bespitzelt zu werden. Wir weisen dich noch ein in die Auffindung von Wanzen etc.", fügte er hinzu.
Sein zukünftiger Schwiegervater klopfte ihm auf die Schulter und führte ihn zur Haustür. "Ich weiß, das ist starker Tobak für den Anfang. Ich weiß, wie du dich fühlst. Ist mir früher genauso gegangen. Geh nach Hause und schlafe erst einmal eine Runde darüber. Morgen hast du frei, nutze den Tag in Ruhe, um alles zu verdauen."
"O.K.", sagte Paul schwach.
Dann drehte er sich um und ging zu seinem Wagen, um nach Hause zu fahren. Da rief der Direktor ihm noch etwas hinterher: "Kannst deinem Onkel Herbert dafür danken, der wusste schon, was für dich gut ist!"
Mit diesen Worten wendete er sich ab und schloss die Tür.
Onkel Herbert, der also. Er musste bei denen gewesen sein, jetzt ergab alles langsam einen Sinn. Sein ganzes Leben wurde er benutzt. Paul fuhr mit seinem Mercedes nach Hause, nahm dort einen kräftigen Schlummertrunk zu sich und schlief relativ schnell ein.
"Das war alles nur ein Traum.", sagte Paul Techlitz am nächsten Tag, als er wieder aufwachte. Was für ein blöder Traum, völlig absurd, dachte er sich. Bekam er langsam kalte Füße? Dieser Job war sein Traum, dafür hatte er die ganzen Jahre hart gearbeitet. Viele Leute musste er aus dem Weg räumen, die ihm hätten gefährlich werden können. Dem Alten war er förmlich in den Arsch gekrochen und dann zu guter Letzt die Verlobung mit der blöden Ziege. Die Frau liebte er nicht, was tat man nicht alles für den Erfolg.
Kein Wunder, dachte er, das war auch alles verdammt anstrengend gewesen. Irgendwann musste das seinen Tribut fordern. Er konnte sich plötzlich wieder an das kleine Kästchen erinnern. Wo war es? Wo war der Ring? War es wirklich nur ein Traum gewesen? Es ließ ihm keine Ruhe.Paul durchstöberte die ganze Wohnung, Raum für Raum. Schließlich lief er im Morgenmantel zum Wagen, um dort nach dem Ring zu suchen. Doch er fand nicht das Geringste. Wie konnte ihn ein Traum so aus der Fassung bringen? Er war völlig überarbeitet. Das musste es sein. Paul fing an sich zu fragen, ob es das alles überhaupt wert war.
Zum ersten Mal in seinem Leben beschlich ihn das Gefühl, dass es nicht nur um Geld ging. Er fühlte sich leer und ausgebrannt wie nie zuvor. Mit den Resten, die er noch in seinem Haushalt hatte, bereitete er sich ein Frühstück zu. Viel war wirklich nicht da, er sollte einkaufen gehen, um für das Nötigste zu sorgen.
Wenig später fuhr er los zu dem Supermarkt in seiner Nähe. Ein wenig mitgenommen schlich er durch die Gänge und sammelte Lebensmittel ein. An der Ecke zu den Cornflakes geschah es. Neben ihm tauchte ein Mann auf, der auch nach den Cornflakes griff. Nichts Ungewöhnliches, doch an dem kleinen Finger seiner linken Hand blitzte ein Silberring mit einem roten Edelstein auf.
Paul erstarrte. Das Blut fing an, in seinen Adern zu gefrieren. Der Unbekannte sah ihm tief in die Augen, und nickte ihm zu. Lächelte ihn kurz an und verschwand. Paul blieb regungslos stehen, ehe er sich wieder bewegen konnte.
Das war nur ein Traum gewesen, oder nicht?
Der Ring. Der hatte genau so ausgesehen wie der, den man ihm überreicht hatte. Wurde er beschattet und zeigte man ihm das? Sollte er keine Fehler wagen? Hatte man gestern Abend seine Abneigung gespürt, ein Wirtschaftskrimineller zu werden? Das war alles ein Traum gewesen oder doch nicht?
Paul Techlitz war, als würde sich die Erde auf einmal doppelt so schnell drehen wie gewöhnlich. Er spürte eine nahende Ohnmacht und Übelkeit zugleich. Krampfhaft hielt er sich am Einkaufswagen fest, um die letzten Sachen zu besorgen. Nach einer Weile hatte sein Körper sich beruhigt und ihm ging es besser. Er bog um die Ecke, um zur Kasse zu gehen, dann sah er wieder diesen Mann. Es war kein Traum gewesen, keine bloße Einbildung. Dieser Mann nickte ihm zu und lächelte ihn an. Die Lebensmittel, die er in den Händen hielt, verbargen seine rechte Hand, jedoch nicht die linke. Wie ein Blitz traf der Anblick des Ringes seine Augen. Der sonderbare Mann stellte sich an einer der Kassen an und bezahlte.
Nein, Paul konnte und wollte sich nicht an dieser Kasse anstellen. Er nahm die am weitesten entfernte Kasse, die geöffnet war. Was für einen Ausweg gab es noch? Er hatte keine Ahnung. Panik breitete sich in ihm aus. Bloß nicht durchdrehen, dachte Paul immer und immer wieder. Die Worte wiederholten sich in seinem Kopf wie ein Mantra.
Da kam ihm die zündende Idee. Ich muss mich verhaften lassen, das ist mein einziger Ausweg. Die konnten nicht alle gekauft haben, das hatten sie selbst gesagt. Was tun? Klauen ja! Aber was? Das hatte er noch nie gewagt, selbst als Kind nicht. An jeder Kasse gab es Süßigkeiten.
Perfekt. Er würde sich ein paar Süßigkeiten greifen. Nein. Doch, die Packung Kaugummi. Er legte sie in den Korb. Die restlichen Lebensmittel auf das Band. Die Kassiererin sah nicht in den Spiegel unter der Decke. Mist. Sie war gestresst oder einfach nur genervt, was auch immer. Dann bemerkte Paul die junge Frau hinter sich. Sie hatte alles gesehen. Er lächelte sie an, doch die schien das Offensichtliche zu ignorieren.
Ha! Paul erblickte den Sensor am Ende der Kasse, der würde sofort schrill aufpiepen, wenn er mit dem Korb durchfuhr. Paul bezahlte und passierte die beiden Sensoren. Oh Gott, warum piepten die nicht? Wieso klappte das bei den blöden Kaugummis nicht? Ich muss mir was anderes überlegen, dachte Paul sich.
Als er den Parkplatz verließ, hatte er den festen Willen, einen Unfall zu verursachen, einen so absurden und bescheuerten, dass selbst die Presse darauf aufmerksam werden musste. Dann würde er es den Journalisten erzählen und den ganzen Haufen auffliegen lassen.
Er war nicht verrückt. Nein, das war er ganz sicher nicht. Paul Techlitz gab ein Kichern von sich. Er und überarbeitet, er doch nicht. Sein Verstand war nie so wach wie an diesem herrlichen Tag.